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Seit Januar 2023 ist die Reform des Betreuungsrecht in Kraft getreten. Ein wichtiges Anliegen der Änderung des Rechts war die Stärkung der Selbstbestimmung der betreuten Menschen.

Warum brauchen wir überhaupt ein Betreuungsrecht?

Das Betreuungsrecht hat in den 90er Jahren das sogenannte Vormundschaftsrecht abgelöst. Wesentliches Ziel ist es, dass erwachsene Menschen, die beispielsweise durch Erkrankungen oder Behinderungen Angelegenheiten nicht selbst regeln können, durch eine andere Person vertreten werden. In welchen Umfang oder Aufgabenbereichen diese Vertretung stattfindet kann individuell geregelt werden (z.B. Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen oder Ämtern; Entscheidungen, welche die Gesundheit betreffen; Aufenthaltsbestimmung, Regelung finanzieller Aspekte).

Ganz wichtig: Die Betreuung entmündigt nicht!
Die Betreuung ist eine zusätzliche Befugnis für die Betreuerinnen oder Betreuer, sie hebt aber nicht die Rechte (z.B. auf Einwilligung zu bestimmten Maßnahmen) der betreuten Person auf. Erst wenn die Einwilligungsfähigkeit der betreuten Person nicht mehr gegeben ist, können Entscheidung durch Hinzuziehung der Betreuer oder Bevollmächtigten getroffen werden.

Das bedeutet, es steht nicht das vermeintliche Wohl an erster Stelle, sondern der mutmaßliche Wille der betreuten Person.
Angewandt auf ein Beispiel aus der Medizin bedeutet diese Regelung, dass nicht die medizinische Behandlung, welche die Ärztinnen oder Ärzte für sinnvoll halten angewandt wird, sondern der (mutmaßliche) Behandlungswunsch des Patienten herausgefunden werden muss, auch wenn das bedeuten kann, dass eine bestimmte Behandlung nicht durchgeführt wird und andere Behandlungsziele verfolgt werden.

Was ist neu oder wurde geändert?

  • Im Bereich der Gesundheitssorge gilt das (Not)Vertretungsrecht der Eheleute. Dieses findet Anwendung bei der Einwilligung bzw. Untersagung von medizinischen Maßnahmen, Eingehen von Verträgen, die im Zusammenhang mit der Gesundheitssorge stehen, die Einwilligung in freiheitsbeschränkende und -entziehende Maßnahmen und das Geltendmachung von Ansprüchen, die aus einer Erkrankung entstehen. Die Vertretung findet keine Anwendung, wenn die Eheleute getrennt leben, bekannt ist, dass eine Vertretung abgelehnt wird, die Vorsorgevollmacht auf jemand anderen übertragen wurde oder ein Betreuer bestellt wurde. Der vertretende Ehepartner muss schriftlich bestätigen, dass kein Ausschlussgrund vorliegt.
    Im Bereich der psychiatrischen Behandlung gibt es weitere Begrenzungen, die Zwangsmaßnahmen ausschliessen sollen.
  • Die stärkere Orientierung am Wunsch und Willen der betreuten Personen: Betreuer*innen, haben die Pflicht, Menschen bei selbstbestimmten Entscheidungen zu unterstützen. Der eigene Wunsch und Wille soll im Mittelpunkt stehen. Stellvertretende Entscheidungen sollen die Ausnahme sein. 
  • Eingrenzung der Betreuung: Künftig soll vor einer Betreuung festgestellt werden, in welchen Bereichen der oder die Betreute Unterstützung braucht. 
  • Keine „Wohl-Schranke“ mehr: Entscheidungen für Menschen, die ihre Wünsche und ihren Willen nicht (mehr) selbst ausdrücken können, müssen sich an ihrem mutmaßlichen Willen ausrichten. Und nicht mehr danach, was von außen betrachtet „zu ihrem Wohle“ wäre. 
  • Mehr Mitsprache und Kontakt: Menschen mit Betreuung werden stärker als bisher in die Prozesse der Betreuung einbezogen. Beide Seiten sollen sich vor einer Betreuung kennenlernen. Mehr als bisher sollen die Wünsche der Betreuten berücksichtigt werden, wer Betreuer*in wird (oder nicht wird). Betreuer*innen sollen auch regelmäßigen persönlichen Kontakt halten und jährlich einen Bericht verfassen, der auch mit den Betreuten besprochen werden soll. 
  • Keine Zwangssterilisationen: Die Sterilisation einer betreuten Person gegen ihren Willen ist nicht mehr möglich. Es reicht nicht mehr aus, dass sie einer Sterilisation lediglich nicht widerspricht. 
  • Änderungen für Betreuer*innen: Berufsbetreuer*innen müssen sich künftig bei einer Betreuungsbehörde registrieren lassen und Fachkenntnisse nachweisen. Ehrenamtliche Betreuer*innen, die keine familiäre oder persönliche Bindung zur betreuten Person haben, sollen sich an einen Betreuungsverein anschließen, der sie beraten und fortbilden kann. 
  • Stärkung Betreuter vor Gericht: Anders als im jetzigen Recht können betreute Personen selbst bei Gericht Erklärungen abgeben, Anträge stellen oder gegen Gerichtsentscheidungen vorgehen. Briefe vom Gericht oder von Behörden gehen nicht nur an die Betreuer*innen, sondern auch an die Betreuten selbst. 
    (Quelle: www.aktion-mensch.de)

Bevor eine Betreuung eingerichtet wird, sollte die Frage nach der Erforderlichkeit geklärt werden und ob alle anderen verfügbaren Unterstützungsangebote ausgeschöpft oder nicht ausreichend sind.

Gerade ich im Bereich der neurologischen Erkrankungen stellt sich immer wieder die Frage, inwiefern eine gesetzliche Betreuung erforderlich und sinnvoll ist. So können nach einem Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma aber auch bei einer Demenzerkrankung kognitive Einschränkungen und ein erkennbarer Hilfebedarf entstehen. Auch Bewegungsstörungen – wie z.B. die Parkinson-Erkrankung – können zu Einschränkungen der Alltagsfähigkeiten führen und eine vermehrte Unterstützung nach sich ziehen.

Eine Alternative zur Betreuung ist im sozialrechtlichen Bereich z.B. die erweiterte Unterstützung, die voraussetzt, dass die betroffene Person selbst Handlungsbedarf- und mitwirkungsfähig ist, aber Unterstützung bei der Antragstellung (z.B. für Sozialleistungen) benötigt.

Andere Instrumente, welche gerade bei medizinischen Fragen eine gesetzliche Betreuung nicht unbedingt erforderlich machen, sind die Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung.

Vorlagen Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung etc.

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